Die Lehre trotzt dem Krieg
WN │ 19.05.2022

Geflüchtete Dozentin aus der Ukraine lebt derzeit in Münster
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Über sechs Millionen Menschen sind laut Zahlen der Vereinten Nationen seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen. Die Schicksale dieser Menschen und die derer, die sie zurücklassen mussten, bewegen seit Wochen die Weltöffentlichkeit. Eine von über sechs Millionen ist Dr. Halina Lejzjus (64). Mutter, Großmutter und die Dozentin von Studenten, die selbst in unterschiedliche Länder geflüchtet sind, die Lejzjus aber nichtsdestotrotz noch immer unterrichtet.
Der Lebensweg von Dr. Halina Lejzjus ist ein ungewöhnlicher. Schon als ukrainische Studentin der Germanistik bekommt sie einen Sohn. Dennoch beendet sie ihr Studium mit Auszeichnung. Das Angebot für eine Doktorarbeit lehnt sie indes ab. Stattdessen geht sie als Erzieherin an einen Kindergarten, um überhaupt arbeiten zu können.
Später arbeitet sie für kurze Zeit an einer Schule, bevor sie doch in Odessa promoviert. Als alleinerziehende Mutter geht sie als Dozentin an die Uni und rutscht Anfang der 90er-Jahre als Dolmetscherin in ein Wirtschaftsprojekt zwischen dem Land Sachsen und der Ukraine. Für Empörung habe das damals bei ihren Kollegen gesorgt, erzählt Lejzjus. Doch sie folgt ihren eigenen Vorstellungen. Sie will mehr sehen, mehr wissen, mehr erleben. Und sie hat ein klares übergeordnetes Ziel: „Ich wollte meinem Sohn immer eine gute Ausbildung ermöglichen, das war mir am wichtigsten.“
30 Jahre nach den ersten Erfahrungen in Deutschland ist Dr. Halina Lejzjus nun zurück. Als Geflüchtete in einem Krieg ist sie mit ihrer Schwiegertochter und ihren zwei Enkelinnen in Münster untergekommen. Ihre Flucht erzählt viel über die Tage vor dem Krieg.
Am 12. Februar ruft sie ihr Sohn an. Sie müssten weg, sagt er. Lejzjus‘ Schwiegertochter arbeitet bei der amerikanischen Citibank, ihr Sohn bei einem österreichisch-ukrainischem Unternehmen. Schon zu diesem Zeitpunkt erwarten die internationalen Unternehmen offenbar das Schlimmste für Kiew.
Die Familie flieht zunächst nach Lemberg, wird in Hotels untergebracht. „Der Hund und ich waren quasi illegal dort“, sagt Dr. Halina Lejzjus und zuckt mit den Achseln. Ende Februar wollte sie eigentlich mit einer Freundin Deutschland besuchen, doch statt des Flugs gibt es Krieg. Aber die Familie will nicht weg aus der Ukraine.
Woche um Woche harrt sie in Lemberg aus. Bis zum 21. März, da geht es nicht mehr. „Ein furchtbarer Tag“, sagt Lejzjus rückblickend. Von ständigen Alarmierungen und Explosionen zermürbt, fliehen Lejzjus, ihre Schwiegertochter und ihre zwei Enkelkinder nach Warschau, nach zwei weiteren Wochen schließlich nach Münster.
Lejzjus schwärmt im Gespräch für die Kunst und Kultur in Münster. Für die „heilige Atmosphäre“. Gleichzeitig denkt sie an die Menschen und Kinder, die in der Ukraine getötet werden. Und geschändet. In Warschau seien Kinder eingetroffen, die vor den Augen ihrer Eltern von russischen Soldaten vergewaltigt worden seien, sagt Lejzjus.
Bei allem Unheil, den der Krieg gebracht hat, er habe das Land auch vereint. „Wir hatten vorher viele Probleme“, sagt Lejzjus. Doch sie schaut nach vorne, glaubt: „Wir werden ein fantastisches Land. Dafür bezahlen wir jeden Tag mit dem Blut unseres Volkes.“
Und nicht nur damit. Überallhin hat es die Ukrainer verschlagen. Lejzjus ist zweimal wöchentlich in Kontakt zu einer Gruppe Studentinnen, die sie unterrichtet. Fünf sich in Deutschland, eine in Tschechien, eine in der Schweiz, andere noch in der Ukraine. Sie fragt, wie es ihnen geht – und ob sie Hausaufgaben gemacht haben.
Im Gespräch mit unserer Zeitung hat sie eine Hoffnung: Dass die jungen Frauen ihr Studium im Ausland fortsetzen. Dass sie wachsen. Die Gesellschaft in Deutschland sei so zivilisiert – davon, von der Ausbildung sowie der Kultur könnten die ukrainischen Kinder profitieren, hofft sie.
Deutschland allgemein sowie Münster und seine Bürger im Speziellen lobt Lejzjus in höchsten Tönen. Trotzdem will sie wieder zurück zu ihrem Sohn und in ihre Heimat. Denn die hat Dr. Halina Lejzjus trotz des oktroyierten Krieges nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Sie glaubt mehr denn je an die Zukunft der Ukraine.
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Zur Person:
Dr. Halina Lejzius begleitet – insbesondere als Dolmetscherin – die Hospiz-Partnerschaft zwischen dem Johannes-Hospiz Münster und dem Hospiz in Iwano-Frankiwsk (West-Ukraine) von Beginn an (2017). Sie lebt derzeit mit Ihrer Familie als Gast des Johannes-Hospizes in einer Wohnung am Hohenzollernring in Münster.
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Text: Björn Meyer │ Westfälische Nachrichten
Foto: Annet van der Voort
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