Ein Teil-Zeit Geschöpf

Ich bin dankbar für die Zeit. Sie ist eine geduldige Begleiterin. Sie kritisiert mich nicht. Sie nörgelt nicht am mir herum. Sie nimmt mich, wie ich bin. Ja, manchmal mahnt sie zur Eile. Manchmal ist sie etwas schneller als ich. Da laufe ich ihr hinterher. Aber sie gewährt auch Pausen und Ruhezeiten. Dann lässt sie mich durchatmen und ausruhen. Vor allen Dingen schätze ich an ihr die Freude am Neubeginn. Und das macht sie ständig. Immerzu fängt sie von neuem an zu zählen. Ist eine ihrer Einheiten abgelaufen, beginnt sie ohne zu zögern eine neue - immer und immer wieder. Ohne außer Atem, ohne aus der Ruhe zu kommen.
Die Lust der Zeit am Neubeginn ist für mich eine Einladung und eine Herausforderung. Eine Einladung neue Erfahrungen zu machen. Das Alte eben das Alte sein zu lassen. Ich schaue zurück und sehe, was da schon alles war. Sehe Berge und Täler, sehe gerade und unbequeme Wege. Ich sehe meine Zeit, die die war. Es waren nicht immer rosige Zeiten, nicht nur Jubeljahre. Aber die Zeit lehrt mich, jeden dieser Augenblicke anzunehmen als Teil von mir selbst. Das eine ist schade: Die schönen und beglückenden Zeiten kann ich nicht wiederholen. Das andere ich tröstlich: Die schweren und trüben muss ich nicht noch einmal durchmachen. Das dritte ist wichtig: Es sind meine Erfahrungen, die mir als Werkzeuge für die Gestaltung meiner Zukunft in die Hand gegeben sind. Der ewige Kreislauf der Zeit ist eben kein Gleichlauf. Es gibt keine wirkliche Wiederholung, es gibt nur eine Entwicklung mit immer wieder neuen Erfahrungen.
Das Buch meines Lebens wird dicker. Die Zeit schließt für mich die Kapitel und sie schlägt für mich die neuen Seiten auf - noch ganz umbeschrieben und noch ganz rein. Das aber ist für mich die Herausforderung: Was fange ich nun damit an, mit diesen neuen Seiten? Wie gestalte ich die Zeit, die vor mir liegt - den neuen Tag, die neue Woche, den Monat, das Jahr? So vieles kann ich noch gar nicht absehen, weil es nicht in meiner Hand und in meinem Ermessen liegt. Als Teil der Schöpfung habe ich auch nur einen Teil der Zeit. Ich teile sie mit meinen Zeitgenossen, lerne von den Zeitzeugen der Vergangenheit und habe Verantwortung für kommende Generationen. Und es wird eine Zeit kommen, ein Augenblick nur, in dem mir die Zeit genommen wird - nicht als ein Verlust, sondern als Preis für die Ewigkeit.
Wie der Beter des Psalms 65 möchte ich auf Gott vertrauen, der die Zeit geschaffen hat. Ich möchte darauf vertrauen, dass er der Zeit sein Gütesiegel aufdrückt. Ihm möchte ich meine Bitte als Dank sagen: Du, Gott, krönst das Jahr mit deiner Güte, deinen Spuren folgt Überfluss.
Lutz R. Nehk
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